Jobangebot über Facebook

Das Kaminfeuer flackerte, die noch leeren Bänke füllten sich allmählich. Wir befanden uns in einer Roma Kirche in einer kleinen Stadt in Nordmazedonien an der Grenze zu Griechenland. Das Thema des heutigen Abends war Menschenhandel und wir wussten, dass viele der Besuchenden Berührungspunkte mit dieser Thematik haben würden. 

Als die meisten Leute eingetrudelt und die Bänke besetzt waren, sprach uns die Frau direkt hinter uns an. Wie wir erfuhren, hatte sie schon mehrmals in Deutschland und der Schweiz gearbeitet und so konnten wir uns gut auf Deutsch unterhalten. Neben ihr sass ihre 18-jährige Tochter Milena*. In zwei Wochen würde Milena in die Schweiz kommen, erzählte die Mutter uns freudig. Sie habe für drei Monate eine Stelle als Nanny in Aussicht. 

Wir hatten keine Zeit mehr, uns mit ihr weiter zu unterhalten – die Veranstaltung begann. 

Hier testeten wir das erste Modul unseres Präventionsprogramms zum Thema Menschenhandel, ein Lehrmittel, das über die Thematik aufklären und sensibiliseren soll. Wir sprachen über verschiedene Formen von Menschenhandel und zeigten Beispiele aus Nordmazedonien und den Nachbarländern. Wir redeten über die Menschen, welche andere zum Zweck der Ausbeutung rekrutieren und schauten uns Vorgehensmuster an. Wir diskutierten darüber, warum Menschen Opfer von Menschenhändler werden und vor allem darüber, wie Menschenhandel vermieden werden kann. Infos und Hotlines, wo Hilfe geholt werden kann, waren ein wichtiger Bestandteil am Ende des Moduls. 

Am Schluss war es im Raum ganz still. Die Besuchenden brauchten kurze Momente des Verarbeitens und des Nachdenkens. Dann kamen die ersten Fragen: Wie kann ich meine Enkelkinder schützen? Wie prüfe ich Arbeitsangebote? Wir gingen auf die Fragen ein und bald war die offizielle Veranstaltung vorbei.

Da tippte uns die Mutter von vorher auf die Schulter. Sie war spürbar aufgewühlt. Plötzlich war sie sich nicht mehr so sicher, ob das Jobangebot, welches ihre Tochter erhalten hatte, so seriös war. Hatte sie einen Vertrag? Nein. Hatte sie eine genaue Adresse? Nein. Das einzige, was sie besass, waren einige Kontaktangaben über Facebook. Wir schauten uns das Facebookprofil an. Die Ortschaft der Familie befand sich nicht weit weg von uns. Da fragte uns die Mutter, ob wir Milena nicht einmal bei der Familie abholen und mit in die Kirche nehmen könnten. Wir tauschten die Kontaktdaten aus und versprachen ihr, in Kontakt zu bleiben. Die Mutter und Milena wussten, was sie zu tun hatten. Sie wollten eine schriftliche Bestätigung für die Arbeitsstelle und genauere Infos über die Arbeitsbedingungen: Wie viel würde sie verdienen? Wie oft würde sie arbeiten müssen? 

Wir verabschiedeten uns mit der Gewissheit, dass wir in Kontakt bleiben würden. 

Was uns blieb, war Betroffenheit. Die Leute, die vorbeikamen, kannten die Thematik des Menschenhandels und der Ausnutzung nur zu gut. Noch immer werden sie im eigenen Land von vielen als Menschen zweiter Klasse angeschaut. Viele haben kaum Schulbildung und leben in grosser Armut. Reden über die Gefahr, in solch einer Situation ausgebeutet zu werden und wie man sich davor schützen kann, ist ein Anfang. Mit unserem Besuch in Nordmazedonien haben wir solch einen Anfang gemacht. 

Zurück in der Schweiz tauschten wir uns regelmässig mit Milena aus. Wir schrieben mit ihr via Facebook und waren froh, dass sie schlussendlich wie besprochen als Nanny in einer Familie die Kinder betreuen durfte. Ein Treffen konnten wir nicht organisieren, aber bis heute sind wir in Kontakt mit ihr und ihrer Mutter. 

Jetzt freuen wir uns darüber, dass die ersten vier Module rund um das Thema Menschenhandel übersetzt werden, sodass diese dann vorerst in Mazedonien, Montenegro und Serbien durch Leute vor Ort durchgeführt werden können. Wir möchten, dass Menschen spürbar bewegt werden von der Thematik, dass sie über Gefahren aufgeklärt sind und im besten Fall selbst praktisch in ihrem Land und ihrer Ortschaft präventiv für Menschen in prekären Lebenssituationen einstehen. 

 

Sarah Scheuzger, Mitarbeiterin Lona Project

 

 

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