Würde und Wert geben

Die Roma leben seit Jahrhunderten mehrheitlich in ost- und südosteuropäischen Ländern. In weiten Teilen dieser Gegenden bilden sie eine Minderheit und erleben auch deshalb täglich Diskriminierung. Oft schaffen sie es nicht, die obligatorische Schule abzuschliessen und haben somit kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Wunsch nach einem besseren Leben führt sie oft in ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis. Nicht selten bei uns in Westeuropa.

Wir sitzen in Nikšić, Montenegro, in einem kleinen Kursraum. Vor uns 15 Jugendliche aus der Roma-Minderheit. Sie wurden von der dort ansässigen NGO eingeladen, an unserem Workshop zu Menschenhandel und Prostitution teilzunehmen. Sie sind wohl weniger wegen des Themas, sondern mehr aufgrund der Tatsache, dass Ausländerinnen den Weg in ihre Stadt gefunden haben, motiviert mit dabei. Gestartet wird mit einem Spiel. Wir lassen die Jugendlichen raten, wie viel der gezeigte Gegenstand kostet. Laut schreien sie rein und hoffen, Süssigkeiten zu gewinnen. Als letzter «Gegenstand» erscheint ein Mensch auf dem Screen. Und auf einmal wird es ganz still im Raum. Bis ein Junge ein andächtiges «priceless» (unbezahlbar) hervorbringt. Ich nehme seine Antwort auf und führe aus, dass wir alle unbezahlbar sind, einzigartig erschaffen von einem Gott, der uns liebt. Dass wir in den Augen von Christus alle gleich sind, denselben Wert haben, und dass es daher nicht in Ordnung ist, wenn mit Menschen gehandelt wird. Es ist weiter still im Raum, bis ein anderer Junge die Hand hebt und fragt: «Also, du meinst, ich als Roma bin gleich viel wert wie du aus der Schweiz?» – «Ja, das meine ich. Nur weil ich aus der Schweiz komme, bin ich nicht mehr wert als du», so meine Antwort. Wieder ist es still. Dann schaut mir der Junge in die Augen und fragt noch einmal nach, um ganz sicher zu gehen: «Denkst du das wirklich?» Erneut bejahe ich die Frage. Seine Augen füllen sich mit Tränen und er schaut rasch zu Boden. Um es ihm nicht unangenehm zu machen, fahre ich weiter und spreche über die Definition von Menschenhandel.

Diese kurze Konversation ist in meinem Herzen hängen geblieben. Ein Junge, der in seinem kurzen Leben bisher hauptsächlich Ablehnung erlebt hat, weil er Roma ist, hört zum ersten Mal von der Gleichwertigkeit von uns Menschen. Er hört zum ersten Mal von einem Christus als dem Schöpfer, der uns erschaffen hat und uns Würde und damit einen Wert gibt. Was für uns selbstverständlich scheint, hat einen Jungen (und vielleicht auch andere in diesem Raum) verändert. In seinem Herzen hat diese Wahrheit etwas transformiert, was hoffentlich ein Leben lang hält.

 

Christina Wüthrich, Leiterin Lona Project

 

 

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